Eber
Autor: Lembi Lõugas
Foto: Arne Ader
Übersetzung ins Englische: Liis
Übersetzung vom Englischen ins Deutsche: Brit
Nach der Eiszeit kam das Wildschwein verschiedene Male in Estland an und verschwand wieder. Wohin ging es in der Zwischenzeit und warum?
In der zweiten Ausgabe von Loodusesõber 2015 schrieb Peep Männil über die derzeitige große Anzahl von Wildschweinen in Estland. Die zahlenmäßigen Indikatoren für Wildschweine wären sicherlich viel niedriger wenn die Menschen nicht die Zunahme durch ihre Aktivitäten unterstützten. Die Art hat zum Beispiel frühere Kälteperioden nicht überstanden ohne menschliche Unterstützung. Vielleicht lohnt es sich über eine fernere Vergangenheit als die letzten paar Jahrzehnte zu überdenken was diesem interessanten Tier, das jetzt den Titel „Tier des Jahres“ bekommen hat, widerfahren ist.
Das Wildschwein gilt in Mitteleuropa, dem Mittelmeerraum, Nordafrika und dem größten Teil Asiens als einheimische Art. In Europa wird die Verbreitung der Wildschweine historisch mit der Verbreitung von Laubwäldern in Zusammenhang gebracht, doch kann keine klare Linie zwischen Laub- und Nadelwäldern gezogen werden so endet der Lebensraum der Wildschweine nicht an dieser theoretischen Grenze. Das Gebiet in Estland war seit Tausenden von Jahren eine Zwischenzone dieser zwei Waldarten, oder kurz gesagt, wir haben meist Mischwälder. Das Klima hat hier von Zeit zu Zeit auch seine Tricks gespielt, was die Waldarten veränderte und deren charakteristische Tierarten in Art und Anzahl. Vieles hängt von der mehr oder weniger guten Anpassungsfähigkeit der einen oder anderen Art ab. Da die Wildschweine auch sehr gut in Mischwäldern zurechtkommen solange es dort genug Nahrung gibt in der Humusschicht unter den Laubbäumen, Fichtenwälder bieten guten Schutz im Winter, so gibt es nicht viele Hindernisse dort zu leben. Auf der anderen Seite, beim Leben an der nördlichen Grenze des Verbreitungsgebietes gibt es nicht viele Überlebensmöglichkeiten wenn das Klima kälter wird, vor allem mit steigender Schneehöhe.
Unter den ersten Ankünften
Die Wildschweine waren bereits unmittelbar nach der Eiszeit Teil der Estnischen Fauna. Arten der arktischen Steppe, wie Rentier und Mammuts, die während der letzten Eiszeit hier durchzogen, verschwanden von hier und die nach und nach zunehmenden Waldgebiete wurde von den Tierarten, die wir auch heute noch hier antreffen, bewohnt. Die derzeit älteste bekannte menschliche Ansiedlung in Estland, in Pulli am Pärnu Fluss, bescherte uns unter anderem die ältesten Funde von Wildschweinknochen (fast 10 500 bis 10 700 Jahre alt). Sie sind nicht sehr zahlreich, doch die Art muss in „jagdbarer Zahl“ hier gewesen sein, d.h. es muss eine genügende Anzahl von Wildschweinen in der Natur gegeben haben um die Steinzeitmenschen wissen zu lassen, wie man sie jagt und das auch gewollt haben. Betrachtet man alle Arten von Verlusten in Zusammenhang mit Rodung, landwirtschaftliche Nutzung der Erde und so weiter, ist eine ausreichend große Anzahl von Knochen bis heute erhalten geblieben. Die Lebensraum Zeit von Polli wird als deutlich kühler als der heutige Durchschnitt angesehen, und die spärlichen Wälder waren überwiegend Lebensraum von Kiefern und Birken. Bezüglich der Funde von Knochen von Wildschweinen und auch unter anderem Rehe müssen wir feststellen, dass in dieser Zeit wahrscheinlich dieser Flussbereich diesen Tieren bessere klimatische Bedingungen geboten hat, demzufolge auch den Menschen, die nicht zögerten diese weiter nördlichen kühlere Gegend dazu auszusuchen dort zu leben.
Knochenfunde der Steinzeit
Wahrscheinlich gab es mehrere Kälteperioden in jenen fernen Jahrtausenden, als die Wildschweine aus estnischen Territorien verschwanden, doch von fast allen estnischen Steinzeiten (d.h. bis vor 3800 Jahren) wurden u.a. Wildschweinknochen in menschlichen Siedlungen gefunden. Es kann mit Sicherheit gesagt werden, dass es zahlreichere Wildschweine in den wärmeren Perioden (ungefähr 8000 - 5000 Jahre zurück) gegeben hat nach der Eiszeit. In unserer Gegend muss damals eher ein mediterranes Klima geherrscht haben, als das heutige ganzjährige skiarme Wetter. In den Wäldern dieser Zeit überwogen die Laubbäume und verschiedene Tierarten mit südlichem Lebensraum kamen hierher (u.a. Rotwild). Es gab keine bessere Zeit für den Zeitraum des Anstiegs der Wildschwein Population (ohne menschliche Unterstützung), als den Zeitraum, der die sog. Klimaoptimalen Zeit und auch die Zeit danach, als die Wälder mit vielen Eichen eine große Nahrungsquelle für die Wildschweine boten.
Gemischte Haus- und Wildschweinknochen
Um den Anteil im Leben der jeweiligen Knochenfunde von Haus- und Wildschweinen, die in Estland gegen Ende der Steinzeit einzogen, festzustellen, ist schwierig.Nachdem die Beweise aus dieser Zeit nur als Knochenfunde in den alten Siedlungen erhalten sind, wie kann man die Skelettteile von fast der gleichen Tierart unterscheiden, obwohl sie in unterschiedlichen Voraussetzungen lebten und sich entwickelten. Größe ist hier nur eine herkömmliche Charakteristik, die Probleme entstehen genau zwischen dem „größeren Hausschwein“ und einem „kleineren Wildschwein“, umso mehr, weil die Spätneolithischen Hausschweine wahrscheinlich frei herumliefen und im Fall von vielen Knochenfunden waren diese vermutlich von Nachkommen aus Beziehungen zwischen Haus- und Wildschwein. Auf den Inseln der Ostsee, vor allem auf Gotland und Oesel, wurden solche Knochenfunde von halbdomestizierten Schweinen gefunden. Es blieb bis zu einem gewissen Grad unklar, ob wir es mit einem verwilderten Hausschwein zu tun haben oder einem domestizierten Wildschwein oder gar einer Kreuzung.
Wildschweine waren selten zur Bronze- und Eisenzeit
Mag es sein, wie es will mit der Steinzeit, aber in der Bronzezeit die folgte (ca. vor 3800-2500 Jahren) und auch jüngerer Zeit waren sogar noch komplexer die Schweine betreffend. Obwohl die im größeren Teil der Bronzezeit Schweineknochen aus unseren alten Siedlungen zweifelsohne morphologisch oder äußerlich zu Hausschweinen gehören, sind einzelne Wildschweinknochen zweifelsohne in dieser Fundgruppe vorhanden. Doch wieder ist eine große Anzahl von Knochenresten die soz. in die Mittelgruppe gehören und es kann nicht mit Sicherheit gesagt werde, zu welcher Schweineart sie gehören. Mit Blick auf das Gesamtbild der estnischen als auch lettischen Bronzezeit und den folgenden Eisenzeit Siedlungen bekommt man den Eindruck, dass das Wildschwein in dieser Periode eher eine Seltenheit als Häufig war. Zur Bronzezeit gab es auch mehrere kürzere Kälteperioden die paläoklimatische Daten als auch eine große Anzahl an Robbenknochen in Saaremaa aus dem späten Bronzealter zeigen. Der Reichtum an Robben weist sicherlich auf geeignete Eiskonditionen im Winter hin, die ihre Reproduktion auf Eis begünstigte. Kalte Winter begünstigen nicht die Anzahl der Wildschweine.
Eine neue Welle in der späten Eisenzeit
Vom Fund der Wildschweinknochen in den alten Siedlungen ausgehend und den Forts der späten Eisenzeiten kann der Anstieg während der Periode von vor 1200-1700 Jahren notiert werden. Während dieser Zeit war das Klima hier irgendwie milder, was den Wildschweinen besser gepasst haben könnte. Winter waren nicht sehr hart und reich an Schnee. Die Verschiebung der nördlichen Grenze der europäischen Bison Verbreitung deutet zumindest in den südlichen Teilen von Estland darauf hin. Der deutliche Anstieg in der Anzahl von Wildschweinen, als auch von Bisons, wird besonders deutlich aus Funden von lettischen Siedlungen dieser Zeit, doch ist es auch in Estland bemerkenswert.
“Kleine Eiszeit” schickte die Wildschweine aus Estland hinaus
Leider hielt die Zeit der günstigen Bedingungen für Vermehrung nicht lange an. Um den Anfang des 14. Jahrhunderts begann eine signifikante Abkühlung, genannt „Kleine Eiszeit“, und die war alles andere als günstig für die Anzahl von Paarhufern. 3-4 große Kälteperioden traten im Wechsel mit kürzeren Wärmezeiten auf. Die kältesten Perioden traten um 17.-18. Jahrhundert auf, als sogar die Themse im Winter gefroren war. Offenbar war das Auftreten von Wildschweinen auf estnischem Gebiet, das schon in geschriebenen Aufzeichnungen erwähnt wurde, in vielerlei Hinsicht auf diese warmen Perioden zurückzuführen, und das Verschwinden der Wildschweine im Wechsel hing mit den kühlen Intervallen zusammen. Die große Abkühlung im 17.-18. Jahrhundert erwies sich nicht nur in Estland als Verhängnis für die Wildschweine, sondern auch in den lettischen, litauischen und wahrscheinlich sogar mehr südlichen Gebieten. Sie verschwanden wieder – um wiederzukehren.
Zurück in Estland in den 1930-igern
Sie kamen um die 1930-iger zurück. Die kalten Winter Anfang der 1940-iger drosselte die Verbreitung, aber nur kurz. Ob das Wildschwein als einheimische Art oder als Neuankömmling anzusehen ist, bleibt jedem selbst überlassen, je nach Anschauung und Beziehung zu den Wildschweinen. Es war hier in allen Zeiträumen vertreten, obwohl es nach der Abwanderung neue Tere waren, die ankamen: nicht die gleiche Population, die sich jetzt nach Süden verzogen hat zog jetzt wieder nach Norden. Es scheint allerdings, dass das Wildschwein endlich angekommen ist um zu bleiben; es macht nichts, dass es hier im Norden längere Zeit nur mit menschlicher Hilfe überleben kann.
Der Artikel mit aufwändiger Illustration, wird im MagazinLoodusesõber veröffentlicht, das im Juni/Juli 2015 erscheint.