Das nutzloseste Material

Text und Fotos: Jaak Kikas, Universität Tartu, Institut für Physik, Tartu
Übersetzung ins Englische: Liis
Übersetzung ins Deutsche: Leonia
 
Foto-1: Denkender Kitt, der das Loch in der Glasabdeckung durchfließt. Trotz seines Namens wird er vermutlich in dem Prozess nicht viel denken:).

Zweiter Weltkrieg: Das siegreiche Japan vergrößert sein Territorium sehr schnell und erobert einige Länder, die bedeutende Produzenten von Gummi (Kautschuk) sind. Die Gummiknappheit macht sich besonders deutlich in den USA bemerkbar; die Bewohner werden angehalten, Gummiprodukte ökonomisch zu benutzen, und sie der Armee zur Nutzung zu spenden. Die Regierung regt Untersuchungen zur synthetischen Ersetzung von Naturkautschuk an. Graf Warrick von der gerade geründeten Dow Corning und Erfinder James Wright von General Electric arbeiteten beide daran. Eine Bemerkung von J.R.R. Tolkien passt sehr gut als Beschreibung zu dem, was dann geschah: „Es gibt nichts anderes als Schauen, wenn Sie etwas finden möchten. … Sie finden zweifellos immer etwas, wenn Sie schauen, obwohl es möglicherweise nicht gerade jenes sein wird, wonach Sie suchten.“ (Hobbit, 1937). Beide Männer entdeckten, unabhängig voneinander, dass ein Material mit sehr eigenartig elastischen Eigenschaften entsteht, wenn man Borsäure Silikonöl (einem synthetischen Silikonmittel) hinzugfügt.
Mit Kneten kann es wie Plastilin verformt werden, es zerfließt sogar durch sein eigenes Gewicht. Wenn eine kleine Kugel der „verrückten Knete“, wie man das Material nennt, auf einen Tisch gelegt wird, wird es mit der Zeit zu einem „Pfannkuchen“. Wenn aber die gleiche Kugel auf den Fußboden geworfen wird, prallt sie wie eine Gummikugel zurück. Und durch einen kräftigen Hammerschlag zerbricht das Material in Stücke. Man könnte denken, dass solch ein interessantes Material einen vielfältigen praktischen Nutzen haben könnte. Aber bedauerlicherweise … ist bis zum heutigen Tag nicht dergleichen gefunden worden. Die Demonstration seiner Eigenschaften ist der einzige Nutzen der Knete geblieben. Einige Firmen vermarkten ihn unter verschiedenen Namen (wie Denkende Knete, Springende Knete, Verrückte Knete) als exotisches, spaßiges Material. Ein ausführlicherer Bericht der Geschichte der verrückten Knete ist im Wiki-Artikel mit dem gleichen Titel (Silly Putty) zu finden.
Von seinen physikalische Eigenschaften her betrachtet ist die Knete eine in hohem Grade viskose Flüssigkeit. Aber eine Flüssigkeit mit sehr eigenartigen Eigenschaften. Die Viskosität der meisten gewöhnlichen Flüssigkeiten (Wasser, Öle usw.) ist nicht abhängig davon, wie schnell sie gerührt werden. Solche Flüssigkeiten sind bekannt als newtonsche Flüssigkeiten - der große Wissenschaftler hat auf auf diesem Gebiet einen Beitrag geleistet. Gleichzeitig kennt man auch sogenannte nicht-newtonsche Flüssigkeiten, wo die Fließeigenschaft stark von der Strömungsgeschwindigkeit abhängig ist. Die Viskosität der verrückten Knete erhöht sich mit dem Grad der zunehmenden Verformung – bis dahin, sich wie ein kompakter Festkörper zu verhalten (Bruchstücke durch einen Hammerschlag!). Gleichzeitig kennt man Flüssigkeiten, wo die Viskosität sich verringert, während sich die Strömungsgeschwindigkeit erhöht. So sind zum Beispiel die sogenannten thixotropen Farben. Sie können an einer Oberfläche mit einem Malerpinsel leicht aufgebracht werden, aber sie fangen nicht an, durch ihr eigenes Gewicht zu fließen, selbst wenn sie als ziemlich starke Schicht auf einer vertikalen Oberfläche angebracht werden; die Farbschicht behält eine konstante Stärke.
Was kann nun mit der Knete gemacht werden? Einige Experimente sind bereits angesprochen worden. Noch einige mehr:
* Forme die Knete zu einer kleinen „Wurst“ und ziehe an den Enden. Bei langsamem Ziehen kann eine sehr langes „Knetschlange“ entstehen, bei einem plötzlichen Ruck jedoch wird die Knete sofort brechen und eine glatte Bruchfläche aufweisen (Fotos 2, 3).
* Druck: Presse ein Stück Knete gegen einen Farbdruck in einer Zeitung. Wenn das Stück entfernt wird, wirst Du sehen, dass es einen Farbaufdruck auf seiner Oberfläche gibt (für diese Experiment eignet sich weiße Knete besser). Und dieser kann nach Belieben verformt werden, indem man an dem Stück zieht oder es zusammendrückt (eine Gewichtsverminderung in Sekunden!). Einfacher ausgedrückt, kannst Du die gleichen Tricks manuell anwenden, die in einem Computer mit bildbearbeitender Software erreicht werden können. Tatsächlich nimmt die Knete nicht nur Farbe, sondern auch die Beschaffenheit der Oberfläche auf, aber leider überdauert dieser Abdruck nicht lange wegen des Zerfließens des Materials (Fotos 4, 5).
Im „Materjalimaailm“-Artikel (Welt der Materie) „verrückte Knete“ kannst Du mehr Ideen für Experimente finden. Möglicherweise entdeckst Du sogar eine tatsächliche praktische Anwendung dieser eigenartigen Substanz? Es kann ergänzt werden, dass die Knete an sich eine farblose Substanz ist. Aber um die „Knetmanie“ bunter zu machen, haben die Produzenten verschiedene Farben hinzufügen lassen – sogar welche, die in der Dunkelheit glühen.
Wo man sie kauften kann? Der Autor hat keine Informationen, ob irgendein Hobby-Zubehörladen in Estland die Knete verkauft. Es kann sicherlich über Internet erworben werden, zum Beispiel über URL http://www.puttyworld.com/ (aber auch aus vielen anderen Quellen).
Vergnügliches Kneten!

Foto 2. Bei schnellem Zug an der „Knetwurst“ bricht sie so ab …
 
Foto 3.… bei langsamem Ziehen kann sie ausgedehnt werden, bis sie sehr lang und dünn wird.
 
Foto-4. Fingerabdruck auf der denkenden Knetoberfläche. Aber der Detektiv muss schnell sein - der Abdruck bleibt nicht lang erhalten.
 
Foto 5. Aber die „eigenartige Knete“ kann sogar schwierige Meisterstücke bewältigen. Das Foto zeigt Lampen in der Decke, widergespiegelt in einer geglätteten Oberfläche denkender Knete. Aber woher stammen die farbigen „Schatten“? Sie sind Beugungbilder von den Lampen: ein reliefartiges Beugungrasterfeld, mit einem Rasterfeldabstand nur einiger Mikrons, wurde auf die Oberfläche der denkenden Knete aufgebracht. Für kurze Zeit behält die Knetenoberfläche sogar solch einen feinen Aufdruck.



 

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